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Kraftwerk in 3D (Teil 2)
Von Cornel Hecht, 25. April 2018
Kraftwerk muss man als Gesamtkunstwerk sehen und es ist kein Geheimnis, dass Ihr live darum auch diverse Kunst-Galerien wie das MoMA bespielt. Doch sind diese Häuser nicht unbedingt perfekt für Musikveranstaltungen konzipiert. Ist es darum sehr aufwändig, Klanginstallationen so zu installieren, dass man mit dem klanglichen Ergebnis zufrieden sein kann? Ich habe gesehen, dass Ihr mitunter auch vor den Konzerten Akustik-Elemente in die Häuser installiert.
Gut beobachtet! Da wir uns in diesen Häusern meist für 8 Konzerte in Folge einrichten, an denen wir jeweils ein Album speziell herausheben, lohnt sich umso mehr der Aufwand, etwas Arbeit in die Akustik zu investieren. Was dann die materiellen Hausmittel nicht schaffen, wird zum Teil auch noch durch die dezentrale Beschallung des Soundscape Systems verbessert. Darum ist es wichtig, dass von den meist üblichen L-R Arrays nicht so viel Energie aus zwei Richtungen in den Raum gepresst, sondern über die horizontalen Arrays ein gleichmäßiges Schallfeld erzeugt wird. Der Aufwand beim Aufbau ist natürlich erheblich größer. Der Abstand und die Abstrahlwinkel der Einzelsysteme müssen in einem Raumsimulationsprogramm exakt berechnet werden.
Kraftwerk war als multimediale Band auch immer mit der Entwicklung modernster Technologien verbunden. Technik als kreatives Medium, um Grenzen in der Musik zu übertreten. Macht man sich dadurch aber nicht auch in einer gewissen Weise abhängig von der Technik?

Jeder Musiker ist von seinem Instrument abhängig. Wenn die Stradivari verloren geht wird es auch sehr still auf der Bühne, oder wenn dem Sänger die Stimmbänder versagen. Ich würde lieber sagen, dass neue Technologien immer wieder auch neue Wege eröffnen. Viel mehr ist die Musiktechnologie abhängig von den Musikern, die ihr einen Sinn geben.
Wie aufwändig gestaltet sich die Suche nach neuen Technologien?
Es gibt so viel Neues in der Welt der Musiksoftware und Hardware, dass es eher ein Selektieren als ein Suchen ist. Die Aufgabe ist eher, sich auf ein persönlich zugeschnittenes Setup zu beschränken, das man gut kennt und optimal nutzt, um sich nicht allein in der Technik zu verlieren. Außerdem bleibt noch die Frage: Was ist wirklich so neu, dass es einen hörbaren Einfluss auf die Musik hat?
Wenn man durch die Länder dieser Welt tourt, sei es Deutschland, die USA oder Russland, hat man den Eindruck, dass es fast keine Atempause für euch gibt. Nach dem Konzert ist vor dem Konzert. Was unterscheidet ein Konzert in Moskau von dem in Detroit? Gibt es überhaupt einen spürbaren Unterschied?
Äußerlich ja, aber wenn die Musik einmal startet, zählt nur noch der Sound und die positiven Vibrationen der Musikfans. Einen größeren Unterschied macht es, ob der Saal bestuhlt ist oder nicht. Als Musiker auf der Bühne freue ich mich über ein bewegtes bzw. sich bewegendes Publikum. Als Konzertbesucher finde ich einen schönen Sitzplatz mit gutem Sound und guter Sicht auch sehr angenehm.
Natürlich gibt es schon gewisse regionale Tendenzen, aber die sind meiner Wahrnehmung nach nicht so vordergründig wie man sich das vielleicht vorstellt. Rekord Phonzahlen im Applausometer gab es z.B. unerwartet in Santiago de Chile und in Südkorea, aber auch bei unserem ersten Roskilde Konzert mussten wir die Monitore reichlich quälen, um uns noch selbst gut zu hören.

Dazu fällt mir ein, dass ich aus diesem Grund bei unserem ersten Konzert in Chile 2004 nach „Tour de France“ nur noch über die PA hören konnte, da die dort angemieteten Monitorboxen plötzlich keine Membranen mehr hatten und diverse Pappfetzen neben mir auf der Bühne herumlagen. Die drei Orte sind ja schon deutlich voneinander entfernt und haben doch eine Gemeinsamkeit.
Apropos Touren: Letztes Jahr am 1. Juli 2017 spielte Kraftwerk zum Auftakt der Tour de France, dem sogenannten „Grand Depart“, ein Open-Air-Konzert in Düsseldorf. Jeder der sich ein wenig für Kraftwerk begeistert wird wissen, dass der Fahrradsport und insbesondere die Tour de France einen großen Einfluss auf Kraftwerk ausübt. Kann man die Tour de France als Inspirationsquelle sehen und wenn Kraftwerk zur Eröffnung der Tour de France spielt, schließt sich da nicht auch ein Kreis?
Natürlich ist das ein schönes Gefühl, wenn man während des Konzerts spürt, wie genau das passiert und zusammenläuft, was zusammen gehört. Seit etwa 1990 (es hat also doch 3 Jahre Überzeugungsarbeit seitens Ralf gebraucht) habe ich ebenfalls mit dem Radsport begonnen und verbinde damit großartige Erlebnisse in den Dolomiten und französischen Alpen, was zweifellos die Arbeit an dem „Tour de France Soundtracks“ Album befeuerte. 2009 im Manchester Velodrom gab es ein ähnliches Event, wo zum Titel Tour de France das britische Gold Medal Team von Peking 2008 auf die Bahn gefahren kam, um zur Musik ihre Runden zu drehen und vom heimischen Publikum frenetisch gefeiert wurden.
Wir bei Steinberg beschäftigen uns mit aktuellen Entwicklungen und versuchen abzuschätzen, wohin in Zukunft die technologische Reise gehen könnte. Ihr habt euch früh mit synthetischer Spracherzeugung und Vocodern beschäftigt. Mittlerweile sind Vocoder populär aber als Kraftwerk mit dem Einsatz der frühen Sprachsynthese startete, war diese nahezu unbekannt. Aber auch hier hat die Technologie große Fortschritte gemacht. In Japan beispielsweise ist Yamahas Vocaloid Technologie sehr populär, füllt mit virtuellen Musikern ganze Stadien. Hier in Europa ist die Entwicklung zaghafter. Dabei stehen wir erst am Anfang der virtuellen Realität. Was macht den Reiz dieser neuen Technologien aus und beobachtet ihr auch die Technologien die dahinter stehen?
Natürlich, Sprachsynthese und Vocoder Entwicklung waren von Anfang an Florians Forschungsgebiet und prägten zu einem wichtigen Teil den Kraftwerk-Sound. Andersrum wurden diese elektronischen Stimmen grade in den 90ern so sehr mit Kraftwerk assoziiert, dass andere Künstler diese Elemente schon gar nicht mehr nutzen wollten. Heute ist die wie auch immer erzeugte synthetische Stimme absoluter Alltag durch alle möglichen Smart Geräte mit Sprachausgabe wie Navis oder die guten allwissenden Geister, die bereits vieles für ihren Besitzer erledigen können. So sind die digitalen Stimmen in vielen Facetten auch wieder in die Klangwelt des Electro Pop eingezogen.